Los silencios Brasilien, Kolumbien, Frankreich 2018 – 88min.

Filmkritik

Die Insel der Geister

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Geprägt von erzählerische Ruhe und schonungsloser Wahrhaftigkeit: Los Silencios erzählt eine mitreissende Familiengeschichte rund um Flucht, Integration und die Geister der Vergangenheit.

Nuria (María Paula Tabares Peña) und ihr Bruder Fabio (Adolfo Savinvino) stranden zusammen mit ihrer Mutter Amparo (Marleyda Soto) auf einem beschaulichen Eiland im Amazonasgebiet an der Grenze von Brasilien, Peru und Kolumbien. Sie waren auf der Flucht vor den bewaffneten Konflikten in ihrer kolumbianischen Heimat. Während der Unruhen verschwand auch der Vater. Unerwartet taucht dieser eines Tages in der neuen Unterkunft der Kleinfamilie auf. Unterdessen wird Amaparo immer mehr bewusst, dass mit der Insel, die den geheimnisvollen Namen „Isla de la Fantasia“ trägt, etwas nicht stimmt. 



Die Drehbuchautorin und Regisseurin Beatriz Seigner legt mit Los Silencios ihren zweiten Film vor. Ihr Debüt gab sie bereits vor neun Jahren mit der Abenteuer-Komödie Bollywood Dream, den sie ebenfalls produzierte. Mit Los Silencios war sie 2018 in Cannes vertreten. In ihrer brasilianischen Heimat wurde sie für den Film unter anderem mit dem Kritikerpreis (Filmfestival Brasilia) ausgezeichnet.

Auf nachhaltige und intelligente Weise bringt Seigner einen in schlichten Bildern eingefangenen Sozialrealismus mit surrealen, märchenhaften Elementen zusammen. Im Zentrum des ersten Filmdrittels steht der harte, unerbittliche Migrantenalltag der Familie. Seigner verdeutlicht all jene (bürokratischen) Hürden und unvorhersehbaren Schwierigkeiten, mit denen es Geflüchtete zu tun bekommen. Amparo etwa muss reichlich Überzeugungsarbeit leisten, um an einen – natürlich schlecht entlohnten – Job zu kommen.

Der Kauf einer Schuluniform für ihre Kinder wird in der Folge zum finanziellen Problem, das kaum bewältigt werden kann. Und auch die Ämter und Behörden legen ihr Steine in den Weg: Sie solle einen Beweis für das Verschwinden ihres Mannes vorlegen. Ins Magische und Spirituelle verlagert die junge Regisseurin ihren Film, wenn sich die Welt der Toten mit der der Lebenden vermengt. Schon früh kommt Nuria zu Ohren, dass die Insel von Geistern bevölkert sei.

Doch wie sehr die unterschiedlichen Dimensionen, Zeitebenen sowie das Natürliche und Unnatürliche auf der abgelegenen Insel eine Einheit bilden – das offenbart sich erst langsam, dafür allerdings mit umso grösserer Wucht. Weiterhin lebt der Film, dessen Bilder vom experimentellen Einsatz von Licht und Schatten geprägt sind, vom dringlichen Spiel seiner Schauspieler. Fast alle sind sie Laiendarsteller, die ihre eigenen Flucht- und Migrationserlebnisse in ihre Rollen einfliessen lassen. Wie die junge María Peña, die mit ihrer authentischen Darbietung lange in Erinnerung bleibt.

19.07.2019

4

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