Glaubenberg Schweiz, Türkei 2018 – 120min.
Filmkritik
Einer Liebe Wahn und Wirklichkeit
Ausgehend von Ovids „Metamorphosen“ und von eigenen Erinnerungen erzählt Thomas Imbach (Lenz) von der ins Verbotene führenden Beziehung zweier Geschwister.
Für Lena ist ihr Bruder Noah der Schlüssel zur Welt. An seiner Seite hat sie das Leben kennengelernt, mit ihm ist sie unbeschwert durch Kindheit und frühe Jugend getollt. Doch nun ist sie 16. Ihre Sexualität erwacht und ihr erotisches Verlangen richtet sich in einem Masse, das in tabuisierte und verbotene Bereiche führt, auf ihren Bruder. Dem um gut zwei Jahre Älteren wird ihre Anschmiegsamkeit – ohne dass er sich dessen genau bewusst zu sein scheint – zunehmend zu viel: Derweil ihre erotischen Phantasien und Träume – und sei es bloss in ihrer Vorstellung – sie immer wieder in seine Arme treiben, beginnt er ihr auszuweichen, nach Abschluss der Schule setzt er sich ins Ausland ab. Angeblich um in der Türkei an archäologischen Ausgrabungen teilzunehmen, tatsächlich wohl aber eher, um der Situation zu entfliehen.
Thomas Imbach arbeitet in Glaubenberg, wie in den meisten seiner Filme, viel mit Nahaufnahmen, feinfühliger Gestik und Mimik. Die Landschaften – gedreht hat man unter anderem im Gebiet des titelgebenden Glaubenberg, einer in der Innerschweiz liegenden, moorigen Hügellandschaft, aber auch an sand-staubigen Ausgrabungsstätten in der Türkei – haben dabei nicht nur die Funktionen von Drehorten, sondern spiegeln magisch aufgeladen auch innere Befindlichkeiten. Der Glaubenberg selber, wohl nicht zufällig auf Thomas Manns "Zauberberg" verweisend, wird dabei zum Ort der (ungestillten) Sehnsucht.
Inhaltlich heftet sich Imbach immer stärker an die Fersen der Schwester, deren Liebeswahn sich reziprok zur geografischen Distanz hochschaukelt; das Wiedersehen zu Weihnachten wird, nachdem Noah seit seiner Abreise Lenas sämtlichen Versuche einer Kontaktaufnahme unterschlug, nicht nur für die Geschwister, sondern auch für die allmählich beunruhigten Eltern zur Feuerprobe. Glaubenberg führt tief ins innerliche Erleben seiner Protagonistin. Dabei gehen Träume, Phantasien, Erinnerungen und reales Geschehen bisweilen fast unmerklich ineinander über, und als Zuschauer weiss man oft nicht mehr genau, was Wirklichkeit und was Phantasie ist. Gespielt wird Lena von Zsofia Körös, die mit einer sehr reifen schauspielerischen Leistung überzeugt. Beruhend auf einer „wahren Geschichte“ und „inspiriert von einer Legende“ (der Geschichte um Byblis und Kaunos, zu finden in Ovids „Metamorphosen“) ist Glaubenberg ein das Dilemma seiner Protagonistin geschickt mit archaischen Motiven vermischendes Beziehungsdrama, zu verorten in der Nähe von Bernardo Bertoluccis Mutter-Sohn-Drama La Luna.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung