Insyriated Belgien, Frankreich 2017 – 90min.
Filmkritik
Gefangen in den eigenen vier Wänden
Wo Hollywood wahrscheinlich auf bombastische Effekte und großes Pathos setzen würde, vertraut der belgische Filmemacher Philippe Van Leeuw auf eine konsequente Reduzierung. Betrachtet wird der syrische Bürgerkrieg in Insyriated aus einer Mikroperspektive, die den Schrecken des gewaltsamen Konfliktes allerdings höchst eindringlich vermittelt.
Während um sie herum blutige Auseinandersetzungen toben, verschanzt sich die energische Oum Yazan (Hiam Abbass) mit ihrem Schwiegervater (Mohsen Abbas) und ihren Kindern Yara (Alissar Kaghadou), Aliya (Ninar Halabi) und Yazan (Mohammad Jihad Sleik) in ihrer Wohnung. Zuflucht finden dort auch das Nachbarspärchen Samir (Moustapha Al Kar) und Halima (Diamand Bou Abboud), das mit seinem Baby die Flucht aus Syrien plant, sowie Yaras Freund Karim (Elias Khatter). Als das Dienstmädchen Delhani (Juliette Navis) entsetzt beobachtet, wie Samir kurz nach Verlassen des Haues von einem Heckenschützen getroffen wird, erhält sie von Oum Yazan die Anweisung, das Gesehene vorerst geheim zu halten, um keine Unruhe zu stiften. Nur wenig später bekommen die Eingeschlossenen jedoch die Gewalt der Straße hautnah zu spüren.
Ganz am Anfang gewährt Regisseur und Drehbuchautor Van Leeuw dem Zuschauer einen längeren Blick nach draußen, der das Chaos und die lebensgefährliche Lage illustriert, um sich anschließend auf den Innenraum zu konzentrieren. Die aufgeräumte Wohnung dient den Insassen als Rückzugsort, in dem sich wenigstens ein kleines Stück Normalität einstellt, da Oum Yazan an alltäglichen Ritualen festhält. Um jeden Preis versucht sie, das Wüten in den Straßen aus ihren vier Wänden zu verbannen. Doch der Krieg und seine Begleitumstände sind zu präsent, um die Bedrohung auf Dauer auszublenden.
Mit der Fokussierung auf einen begrenzten Schauplatz erzeugt das kammerspielartige Drama schon früh ein beklemmendes Gefühl, das sich weiter intensiviert, als sich die Ereignisse in der Wohnung überschlagen. Van Leeuw scheut dabei nicht vor diskussionswürdigen Entscheidungen zurück und konfrontiert den Betrachter mit einer hochexplosiven Gemengelage, die vor allem eines deutlich macht: Mitmenschlichkeit und moralisches Handeln werden in Zeiten des Krieges vom eigenen Überlebenswillen zurückgedrängt, können aber dennoch erhalten bleiben. Sehenswert ist Insyriated nicht nur wegen seiner nuancierten Erzählweise. Auch die mitreißenden Darstellerleistungen tragen zur enormen Ausdruckskraft bei. Besonders hervorheben muss man Diamand Bou Abboud als junge Mutter, die ein schreckliches Martyrium durchlebt, und Hiam Abbass, die Oum Yazan als hochkomplexe, zwischen Härte, Verzweiflung und Hilfsbereitschaft schwankende Persönlichkeit verkörpert.
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