Stories We Tell Kanada 2012 – 108min.
Filmkritik
Cineastische Replik einer Familiengeschichte
Eine Odyssee durch die Vergangenheit, verschwommene Erinnerungen und eine zum Scheitern verurteilte Suche nach der Wahrheit: Die kanadische Regisseurin Sarah Polley gewährt einen intimen Blick in ihre eigene Familie und zelebriert dabei die Kunst des Erzählens.
Wie der Titel schon verrät, nimmt sich Regisseurin Sarah Polley dem Geschichtenerzählen an. In Stories We Tell befasst sie sich mit ihrer Familie, jedoch vielmehr mit der Art der emotionalen Verarbeitung, Erinnerung und subjektiven Wahrnehmung von Ereignissen, die erst dann zu einer Geschichte werden, wenn sie der Vergangenheit angehören. So beginnt auch das dokumentarische Familienporträt mit den Worten ihres Vaters: "When you're in the middle of a story it isn't a story at all but only a confusion. (...) It’s only afterwards that it becomes anything like a story – when you are telling it to yourself – or someone else."
Erzählt wird über die Mutter, die seit über 20 Jahren an Krebs verstorbene Schauspielerin Diane Polley. Für die Entstehung der Geschichte hat Sarah Polley ihre "Erzähler" versammelt; ihre Geschwister, den Vater sowie Freunde und Bekannte der Mutter. Über die Interviews soll versucht werden, tiefer in das Leben der Mutter vorzudringen. Dabei stehen nicht die Fragen im Vordergrund, sondern der Entstehungsprozess des Gesprächs. Man lernt ihre nervöse Schwester kennen, den humorvollen Bruder und auch den ruhigen Vater. Sie alle werden schon gezeigt, bevor das Interview beginnt. So antwortet Polleys Schwester (noch wärend das Licht und die Kamera aufgestellt werden) auf die Frage, was sie von der Dokumentation halte, mit "Who fuckin' cares about our family?". Es sind Umstände, die den Blick auf die Antworten verändern, die wir im weiteren Verlauf bekommen werden.
Das Konglomerat der Erinnerungen an die Mutter und die nachgestellten Szenen scheinen zunächst ein Porträt ihrer zu zeichnen; Ein lebensfrohes, glückliches und lautes Energiebündel. Je tiefer Polleys "Investigation" jedoch geht, desto deformierter scheinen die Aussagen über die Mutter zu sein. Jeder einzelne scheint eine eigene Version der Familiengeschichte zu haben. So entpuppt sich die anfängliche Suche nach der Wahrheit als Täuschung. Die Wahrheit versteckt sich im besten Fall zwischen den Zeilen des Niedergeschriebenen und dementsprechend verwundert es kaum, wenn von selbiger mehrere Interpretationen mit nur vagen Übereinstimmungen existieren.
Polley erzählt mit Stories We Tell eine mitreissende Geschichte des Lebens. Es ist eine von vielen Erzählungen, die in Familien von Generation zu Generation weitergegeben werden und so immer wieder ihren Weg in die Gegenwart finden. Polleys Interviews sind beeindruckend intim. Wir bekommen eine Familie zu sehen, die zueinander spricht - ehrlich, direkt und innig. Alle vermissen Diane noch. Dies wird schnell deutlich, wenn Polley ihre schwierigen Fragen stellt. Denn die Antworten darauf scheinen noch schwieriger zu sein.
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