Article14. Juni 2023 Cineman Redaktion
Marvel vs. DC: So viele Retter hier! Das Superheldenkino in der Sackgasse?
Superhelden, wohin man schaut! Mit «Spider-Man: Across the Spider-Verse», «The Flash» und der Streaming-Serie «Secret Invasion» starten im Juni 2023 gleich drei grosse Produktionen, in denen Figuren mit übermenschlichen Fähigkeiten im Zentrum stehen. Die schiere Fülle an Geschichten wirft jedoch Fragen auf: Werden wir eigentlich noch richtig überrascht? Gibt es Superheldenfilme mit Mut zum Risiko? Oder drehen wir uns bloss im Kreis und bekommen die immer gleichen Dinge vorgekaut? Höchste Zeit, die Lage genauer in den Blick zu nehmen…
von Christopher Diekhaus
Marvel als Vorreiter
Superheldenfilme gab es natürlich schon lange vor 2008. In genau diesem Jahr legten die Marvel Studios unter kreativer Leitung Kevin Feiges mit Jon Favreaus «Iron Man» allerdings den Grundstein für das sogenannte Marvel Cinematic Universe. Ein beachtliches, in dieser Form noch nie dagewesenes Grossprojekt, das binnen kurzer Zeit übermenschlich starke Protagonisten im Kampf gegen das Böse zur neuen Königsdisziplin des Mainstream-Kinos machte. Zahlreiche Charaktere aus dem Kosmos der Marvel-Comics erhielten ihre eigenen Soloabenteuer und durften in Ensemblestücken wie «The Avengers» (2012) und «Avengers: Age of Ultron» (2015) ihr Glück versuchen. Alle Geschichten in einem gemeinsamen Universum anzusiedeln, ständig Querverweise einzuziehen und die Filme aufeinander aufbauen zu lassen – dieses Konzept verlangte minutiöse Planung und überzeugte das Publikum.
Die Erfolgszutaten? Augenzwinkernder Humor, existenzielle Bedrohungen der Menschheit, hochwertige Spezialeffekte und wuchtige Schlachten – das Kino als echter Erlebnisort eben. Platz war dabei immer auch für etwas verspieltere Filme wie die Antiheldensause «Guardians of the Galaxy» (2014) oder den Schrumpftrip «Ant-Man» (2015), der den wiederkehrenden Bildern ganzer in Schutt und Asche gelegter Städte einen Kinderzimmer-Showdown entgegensetzte. Eine herrlich unterhaltsame Antwort auf den üblichen Exzess!
Bombastisch und bedeutungsschwanger wurde es besonders in der dritten Phase des Marvel Cinematic Universe. «Avengers: Infinity War» (2018) und «Avengers: Endgame» (2019) stellten die eingeführten und über Jahre aufgebauten Weltenretter auf eine heftige Zerreissprobe und waren Wendepunkte für die weitere Ausrichtung der Superheldenreihe. Angekommen ist sie inzwischen – Stand Juni 2023 – in ihrer fünften Phase und mit «Guardians of the Galaxy Vol. 3» (2023) bei ihrem 32. Kapitel.
Nachzügler DC und Formelbrecher
Angespornt durch den Erfolg der ersten Filme aus dem Marvel Cinematic Universe, setzte Warner Bros. einen zusammenhängenden Erzählkosmos mit Figuren des Comic-Konkurrenten DC auf. Den Anfang machte 2013 Zack Snyders schon sehr gemischt aufgenommener Superman-Streifen «Man of Steel» (2013). An Publikumszuspruch mangelte es dem DC-Franchise in der Folgezeit zwar meistens nicht. In einigen Beiträgen, etwa den Fehlschüssen «Suicide Squad» (2016) und «Black Adam» (2022), holperte es inhaltlich und handwerklich aber zum Teil gewaltig.
Mit ihren gewaltigen Budgets etablierten die Marvel-Produktionen und die DC-Arbeiten weltweit einen neuen Spektakelstil, prägten unsere Vorstellungen von Event-Kino enorm. Überlebensgrosse Helden, ganze Welten in Gefahr und riesige, dem Rechner entsprungene Kampfszenarien – nach diesem Muster schickten die Studios einen Blockbuster nach dem nächsten ins Rennen. Die Dominanz der beiden Platzhirsche ist unbestreitbar. Immer wieder gab und gibt es aber auch Filme, die es ein wenig anders machen, das Superheldenmotiv ambivalenter angehen, ihm mehr Komplexität verleihen.
Beispiele gefällig? Bitteschön: Christopher Nolans düster-brütende Batman-Trilogie, bestehend aus «Batman Begins» (2005), «The Dark Knight» (2008) und «The Dark Knight Rises» (2012), verband Überwältigung mit präziser Figurenpsychologie. Die dänische Buchadaption «Antboy» (2013) brachte eine konsequente Kinderperspektive in das Superheldengenre ein. «Brightburn: Son of Darkness» (2019) machte als ins Abgründige gekehrte, brutale Superman-Variante auf sich aufmerksam. Mit «Joker» (2019) lieferte Todd Phillips eine nicht ganz rund erzählte, atmosphärisch und darstellerisch aber packende Charakterstudie über den berüchtigten Batman-Widersacher ab. In «Mona Lisa and the Blood Moon» (2021) überraschte Ana Lily Amirpour das Publikum mit einer eigenwilligen, telekinetisch begabten Protagonistin auf Emanzipationskurs und einer vibrierend-surrealen Atmosphäre. Die Grossproduktion «The Batman» (2022) wiederum schickte den von Robert Pattinson intensiv gespielten Rächer Gothams auf Serienkillerjagd im Stile des Klassikers «Seven» (1995). Unbedingt erwähnen muss man natürlich auch die Prime-Video-Serie «The Boys», die ab 2019 das Superheldenbild auf blutig-schonungslose Weise dekonstruiert. Ein Ansatz, der schon Zack Snyders Mammutwerk «Watchmen – Die Wächter» (2009), Mainstream-Erwartungen unterlaufend, prägte.
Erzählerischer Stillstand
Sieht die Gegenwart des Superheldenkinos also rosig aus? Eher nicht, denn gerade die Marvel- und DC-Werke haben seit einigen Jahren mit Ermüdungserscheinungen zu kämpfen – selbst wenn es tolle Ausreisser wie die unerwartet vielschichtige Marvel-Serie «WandaVision» (2021) gibt und Diversität endlich eine stärkere Rolle spielt. Immer wieder werden die denkbar grössten Geschütze aufgefahren. Bösewichte wirken zunehmend austauschbar, verfolgen meistens ähnliche Ziele. Ausufernde Kampfsequenzen und digitale Effektgewitter brechen mittlerweile auch über Figuren herein, deren Geschichten sich vorher wohltuend abheben konnten vom allgemeinen Turbo-Remmidemmi, siehe «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» (2023).
Bezeichnend, dass «Spider-Man: Across the Spider-Verse», ein dennoch famos kreativer Film, und «The Flash» auf der Handlungsebene erstaunliche Parallelen aufweisen. Beide nutzen die Idee des Multiversums und kreisen darum, einen geliebten Menschen zu retten. Der vor allem im Marvel Cinematic Universe immer wichtiger werdende Gedanke vieler parallel existierender Realitäten kann natürlich komplexe, aufregende Storys hervorbringen. Man denke nur an die Frage der Identität, wenn man plötzlich in einer anderen Welt einer anderen Version des eigenen Ichs gegenübersteht. Gleichzeitig ist das Multiversum aber auch Kraftstoff der Gelddruckmaschine. Theoretisch können die Macher das Spiel mit den unterschiedlichen Varianten bis zum Abwinken fortführen. Auf dass die Kasse klingeln möge!
Die Zuschauer, die unberechenbaren Wesen
Dass es erzählerisch nur noch schleppend vorangeht, zumindest im Superheldenkino Hollywoods, hält die Leute nicht davon ab, die Kinos zu stürmen. Selbst nach der Zeit der Corona-Lockdowns ist kein bedeutender Einbruch bei den Marvel- und DC-Produktionen zu beobachten. Vielleicht gar nicht so verwunderlich. Immerhin durchleben wir gerade höchst unruhige Zeiten und suchen deshalb womöglich ganz besonders nach eskapistischen Angeboten. Für zwei Stunden die harte Realität vergessen – aktuell gibt es sicher schlechtere Optionen. Der anhaltende Erfolg des Superheldengenres könnte nicht zuletzt mit der Sehnsucht nach einer starken Persönlichkeit zusammenhängen. Jemandem, der in einer zunehmend komplexeren, undurchschaubaren Welt Probleme beherzt angeht und rigoros für Ordnung sorgt.
Ein Ende der Superheldenwelle ist jedenfalls nicht in Sicht. Für die Entscheidungsträger, Autoren und Regisseure hat sich der Erzählkomplex längst nicht totgelaufen. Im Gegenteil: Warner Bros. startet mit einem von James Gunn und Peter Safran verantworteten Reboot der DC-Reihe einen neuen Grossangriff auf die Marvel Studios, die ihrerseits fleissig ihre gut geölte Blockbuster-Maschine am Laufen halten. Wahrscheinlich wäre es trotzdem nicht verkehrt, wenn auch die Hollywood-Big-Player wieder etwas mehr Anarchie und Originalität zuliessen. Wer weiss, am Ende wendet sich das Publikum irgendwann doch noch, frustriert über den erzählerischen Stillstand, vom Superheldenkino ab.
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